9«, Zusammenfassung Die kontrastive Linguistik hat sich als aine sehr relevante Wissen- schaft herausgestellt, der sich man besonders bei Sprachunterricht bedienen kann. Sie hat paedagogische Ziele, Lerftt man eine Fremdsprache, so liegt er naturlioherweise Struktu- ren gegenüber, die sich von denen der Muttersprache unterscheiden. Diese unterschiedliche Strukturen nennen wir Kontraste. Die Kontra- ste sind Faktoren, die die Brlernung einer Fremdsprache erschweren und den Transfer muttersprachlicher Faehigkeiten oder Strukturen in die Fremdsprache als Polge ' haben oder umgekehr't. Der Transfer v/ird als einen Oberbegriff betrachtet und in `Aequiva- lenz` und `Interferenz` eingeteilt. Die Aequivalenz erleichtert das Lernen, waehrend die Interferenz es erschwert. Die Interferenz von der Muttersprache auf die Fremdsprache heisst `proaktive Inhibition` j das G-egenteil davon nennt man `retroaktive Inhibition`. Beim Zweit- sprachenerwerb tritt die proaktive Inhibition öfters hervor, weil der Fremdsprachenlerner dazu geneigt ist, seine Lticken in der Premdsprache durch seine bereits erworbenen rauttersprachlichen Kenntnisse zu decken. Jedoch 1st auch die retroaktive Inhibition zu beobachten, z.B. der Satz `Warum schmeisst du sie... mit Messern?` wurde ins Ttirkische als `Neden onu bxcaklarla fxrlatxyorsun` uber- setzt anstatt von `Neden ona bxcaklarx fxrlatxyorsun?'1. Ein besonderer Pall der Interferenz ist die Sprachmichung. Sie er-72 scheint besonders bei den tiirkischen Gastarbeitem in Deutschland als Ineinandergreifen fremd- und muttersprachlicher Strukturen, so dass eine Sprache entsteht, die weder als Turkisch noch als Deutsch zu betrachten ist. Die Interferenzen sind auf verschiedene Gründe zuriiekzufiihren. Als den wichtigsten Grund der Interferenz vom Tiirkischen aufs Deutsche verstehen wir die Polysemie (die föehrdeutigkeit) und die unter- sohiedliche Verwendungsweise tarkischer Lexeme. Dem tiirkischen Le- xem `ölmek` entsprechen die deutschen Lexeme `sterben/ ersticken/ ertrinken/ entschlafen/ verhungern/ verdursten` und noch viele an- dere. Solche Paelle lassen die tiirkischen Deutschlerner zögern und in Selektionsschwierigkeiten geraten. Die Interferenzen haben ferner mit dem Mangel des Sprachgefiihls zu tun. Das Sprachgefühl zeigt sich besondera auf der rezeptiven und produktiven Seite der Spracherfahrung. Hit dessen Hilfe bedient sich der Sprachbenutzer, ohne die sprachlichen Strukturen `logisch` ein- zufassen. Das Sprachgefiihl regelt die im Gehirn des Sprachbenutzers gespeicherten Sprachkenntnisse und automatisiert deren unbewussten9 jedoch korrekten Gebrauch. Ein betraechtlicher Teü. der festgestellten Pehler basiert auf dem unterschiedlichen Sprachbau des Tiirkischen und Deutschen. Die Prae- figierungen sind dem Tiirkischen fremd, abgesehen vonc den vom Ara- bischen und leraischen entlehnten Praefixen. Deswegen faellt es den tiirkischen Studenten schwer, den Bedeutungsunterschied zwischen73 den Praefigierungen desselben Lexeras zu differenzieren. Die Studen- ten sind geneigt, aile Praefigierungen, die auf denselben Wortstamm zur..ickgehen, für Synonyme zu ha İten. Perner ist die soziokulturelle Vorerfahrung der Fremdsprachenleraer eine wichtige Interferenzquelle. Denn die Inhalte, die mit den Aus- drücken solidarisieren, veraendern sich je nach den Gesellschafts- mitgliedern, die sie vereinbaren und gebrauchen. Die Zeichen einer l,Iut ter- und Premdsprache konvergieren fast nur in ihrem ersten Itonk- tionsbereich. Die Konnotationen sind in vielen Snellen verscniedeng Der Inhalt, den man mit einem Ausdruck verbindet, kann audi indivi- duell oder regional gefaerbt sein; er ist also je nach Umwelt, Al ter, Beruf una sozialer Schicht des Sprachausubenden veraenderlich. Die liehrheit der in dieser Arbeit festgestellten und behandelten In- terferenzen geht auf die Polyseniie und unterschiedliclie Verwendungs- weise tarkischer Lexeme zuriick. Die Polysemie verursacht den Premd- sprachenlernern Slektionsschwierigkeiten. Llangelnde Sprachkenntnisse spielen die grösste Rolle bei den Inter- ferenzfehlern, Durch eine intensivere und bewusstere üindringung in die fremd- und muttersprachlichen Strukturen. waere es möglich, die Anzalıl der Interferenzen in betraechtlichem Liasse zu mindern. Auch die Art der ZusammenstelîLtt8g deutsch-türkischer oder türkisch- deutscher Yförterbücher spielt eine nicht geringzuschaetzende Rolle bei den Interferenzen vom Türkischen auf s Deutsche. Das Wort74 `bağlamak` ist z.B. im Türkisch-Deutschen i'förterbuch von Kari Steu- erwald mit den V/örtern `(zu-, an-` fes t- îdinden, schnüreh, binden, (an-)kuppelnf anhaengen, knüpfen, knoten, he rvorb ringe n, entstehen lassen, fesseln, laehmen, beenden` u.a. wiedergegeben, ohne aber die- se gegebenen Bntsprechungen naeher zu clıaralcterisieren öder mit ilmen Beispielsaetze zu bilden. So sieht sich der Spraohbenutzer vor vielen (angeblichen) Alternatives die einander nicht substituieren könnens die also nicht austauachbar sindt ohne den Bedeytungszusammenhang der Lexeme zu verletzen» Dieser Umstand bereitet dem Spraohbenutzer Selektionsschwierigkeiten und verführt ihn zu inakzeptablen G-ebrauchs- formen, die von der Norm abweichen und desv/egen Interferenzen sind. in diesem Zusammenhang glaube ioh die Semantiktiıeorie von Katz und Podor vorschlagen zu dürfen, um die anomale Kombination von AusdrUk- ken zu vermeiden, deren semantische Komponenten sich gegenseitig ausschliessen. Katz und Fodor versuchen, dieses Problem durch Selek- tionsrestriktionen zu lösen, indem sie ein V/örterbuch einführen, in dem aile Worter mit ihren alien Bedeutungen und die Projektionsre- geln, die die Kombination der «-/ortbedeutungen regeln, enthalten sind. Die Wortbedeutungen werdea in dieses 7/örterbuch in der Art von `Les- arteintragungen (semantische und syntaktische Merkmalsmengen) einge- tragen. Demnach hat jedes Wort eine feste Idenge von semantischen und syntaktischen Merkmalen (Lesarteintragungen), die im Wbrterbuch be- schrieben werden müssen.Die Kombinierbarkeit der Worter wird dadurch gesichert, daas zu jedem angefuhrten Stichwort nicht nur die seman tischen und syntaktischen Herkmale angegeben werden, sondern eben-75 falls auf deren Basis dargestellt wird, in welchem Kontext ein Wort auftreten darf. Bs wird z`B. erklaert, welche Merkmale ein Subjekt haben muss, um mit einem bellebegen Verb kombiniert zu war den. Mit ihrer Semantiktheorie streben hier Katz und Fodor nach der `Ausdehnung der Wortsemantik auf die Satz semantik` («J. Engelkamp, 1974, S. 98). Ich glaube, dass die Zusammenstellung solcher Worter- biicher von Nutzen ist für die Vermeidung des anomalen Sprachge- brauchs Oder, anders ausgedrückt, der Interferenzen, die das Fremd- sprachenle men erschweren. Aber auf dieser Basis scheint die Erler- nung einer Fremdsprache nicht praktisoh zu sein, weil der Lernpro- zess sehr langsam verliefe. Aus dieser Arbeit ist zu folgern, dass die semantischen Interferen- zen, die im allgemeinen auf der Polysemie, Homonymie und unterschied- lichen Verwendungsweise türkiseher Lexeme beruhen, den tiirkischen Deutschlernern die grössten Schwierigkeiten bereiten und dass deren Bewusstmachung von grossem Belang ist für den Fremdsprachenunter- rioht. Auch die Praefigierung im Deutschen eine sehr grosse Interferenz- quelle für die türkisehen Deutschlerner. Alle Praefigierungen glei- chen Wortstamms ha It en sie für Synonyme. Um alien diesen Interferenzen auszuweichen, kann man z.B. umfang- reiche LehrbUcher entwerfen, die a- aile türkisehen polysemen Le xeme, b- alle Lexeme verschiedener Verwendungsweise und, c- alle zu Interferenzen verleitenden Praefigierungen mit ihren deutschen76 Entsprechungen urtd den damit gebildeten Beispielssaetzen enthalten. Pür die Be wusstma chung solcher Interferenzen faellt den Lehrern eine gross© Aufgabe zu. Sie sollen diese gefaehrlichen Interferenz- quellen zum staendigen Bezugspunkt des Unterrichts machen und die Aufmerksamkeit der Studenten auf diese Ziehen, indem sie in jeder Gelegenheit Beispielssaetze bilden und in die vorliegenden Kontra- ste eingehen. Sie kb'nnen zu diesem Zweck auch Texte konstruieren, in denen diese Interferenzquellen tiberwiegen, und diese Texte be- sonders in den Unterrichten wie `Übersetzung`, `Textbehandlung` und `Gramma tik` behandeln. Hier sollen die Texte zur Bewusstmachung der Interferenzquellen dienen. Zur Lösung des Problems der Polysemie in weiter Sicht kann man empfehlen, die meh»eren Bedeutungen eines fortes auf ©ine einzige zu reduzieren, naemlich jedes Wort zu monosemieren und fiir andere Bedeutungen andere Lautkb'rper zu bilden. Aus dem bisher gesagten folgt, dass man die Interferenzwahrschein- lichkeit in den Unterricht einplanen soil, indera man auf die mut ter- und fremdsprachlichen Strukturen Riioksicht nimmt.