dc.description.abstract | 90 6. Zusammenfassung Bei Kriegsausbruch hatte die überragende Mehrheit der deutschen Schriftsteller dem Ersten Weltkrieg zugestimmt. Für sie war der Krieg die Wiedergeburt der deutschen Nation und eine damit verbundene geistig-kulturelle Neubesinnung des ganzen Volkes. Ohne nach den politischen, ökonomischen und militârischen Hintergründen des Krieges zu fragen, betrachtete man inn zunachst aus der ideellen und kulturphilosophischen Perspektive. Jeder wollte von dieser Situation profitieren. Für das Volk war der Krieg die künftige geistige Führung der ganzen Welt und fur die Literaten war der Krieg die Gelegenheit, nun endlich wieder zu Führern und zu geistigen Erziehern der Nation zu werden. Aufgrund dieses Ausgangspunktes wurde der Erste Weltkrieg mit einer grofien Übereinstimmung von alien Schichten der Gesellschaft begrüfît. In dieser weit verbreiteten Stimmungslage erschien der neue Krieg wie eine schlagartige Erlösung. Auf ihn wurden gewaltige Hoffnungen wie die Katharsis der Kunst oder die Riickkehr der Deutschen zu den Werten der Klassik gerichtet. Diese Kriegsvorstellungen wurden auch von Pâdagogen, Theologen und Politikern unterstützt. So entstand eine umfangreiche Kriegspublizistik der Gelehrten, der Politiker und der Kirchen, mit der man die Überzeugung einer absoluten Unschuld des Reiches darstellte und den Krieg rechtfertigte. Der Krieg wurde durch unterschiedlichen Auslegungen als natürliches Gesetz des Lebens formuliert. Doch schon sehr bald wurden die anfanglichen Auslegungen und Sinngebungen des Krieges sowie die mit ihm verbundenen Hoffnungen von einigen Literaten als illusionar durchschaut und abgelehnt. So entstand die erste Phase der literarischen Opposition, die vom Kriegsbeginn bis zur Begründung der Weimarer Republik gegen die Verherrlichung und Rechtfertigung des Ersten Weltkrieges Widerstand leistete. Dabei sind vor allem die Leistungen Heinrich Manns und Hermann Hesses zu erwahnen. die man als die Führer dieser Bewegung bezeichnen kann. Heinrich Mann, der seine oppositionelle Haltung gegen den Krieg in einer demokratisch-aktivistischen Richtung fortsetzte. war der wichtigste Vertreter dieser Position. Als aufgeklarter Literat lehnte er den monarchischen Machtstaat ab und wiinschte sich an dessen Stelle die Demokratie. Seine Vorste Hunger) von der Verwirklichung der Demokratie. mit der er die Realisation der Menschlichkeit verknüpfte. veröffentlichte er in den kriegskritischen Zeitschriften der Kriegszeit. In diesem Sinne auBert er seine kriegskritischen Meinungen in seinem Zola-Essay, der wohl als das bedeutendste Exempel der Kriegsgegnerschaft betrachtet werden kann. Er wendete sich in diesem Essay gegen den deutschen Imperialisms und kritisierte die kriegerische Regierung. Gleichzeitig warnte er auch die Kriegsbejaher vor einer Kriegsschuld und forderte sie zum Widerspruch gegen den Krieg auf. Deshalb wurde er in kiirzester Zeit zum Führer der literarischen Opposition der Kriegszeit und übernahm die Befurwortung dieser Gesinnung. Ein weiterer wichtiger Kriegsgegner wahrend der Kriegszeit war Hermann Hesse. Seine oppositionelle Haltung gegen den Krieg war eine pazifistisch-humanitare Reaktion. die er in seinen Aufsatzen,,0 Freunde, nicht diese Tone!`...An einen Staatsminister`...Wenn der Krieg noch zwei Jahre dauert` und..Soil91 Friede werden?` deutlich darstellte. Bei ihm handelt es sich um die Verstândigung und Aussöhnung der am Kriege beteiligten Völker, wobei er diesem Ziel am besten dadurch zu dienen glaubte, indem er auf jede politische Stimmung verzichtete. Obwohl er selbst auch als freiwilliger Soldat am Krieg teilgenommen hatte, gehörte er zu den Autoren, die die Sinnlosigkeit des Krieges sofort erkannten und dagegen Widerstand leisteten. Aufgrund seiner pazifistischen Gesinnung verlangte er von den Intellektuellen schon in der Kriegszeit eine Einigung, die dem künftigen Frieden als Vorlage dienen sollte. Auf diese Weise wurde die literarische Opposition von den eben erwahnten Schriftstellern von Anfang bis zum Ende des Krieges geführt. Durch die Bestrebungen von H. Mann und H. Hesse hatte sich der Kreis der Opposition allmâhlich vergröBert und organisiert, so daB die kriegskritischen Literaten auch nach dem Krieg bis zum Ende der 20er Jahre unter dem Namen der literarischen Epoche `Expressionismus` ihr Engagement fortsetzten. Dabei übernahmen die revolutionâren Zeitschriften wichtige Dienste, die sowohl wahrend der Kriegszeit als auch nach dem Krieg die wichtigsten Mittel der Kriegsgegnerschaft waren. Am Ende der 20er Jahre entstand die zweite Phase der Kriegsgegnerschaft. Die Kriegsromane der Weimarer Republik in denen die oppositionelle Haltung gegen den Ersten Weltkrieg nochmals dargestellt wurde, waren die bekanntesten Veröffentlichungen der Nachkriegszeit. Schriftsteller, die eigentlich als freiwillige Soldaten am Krieg teilgenommen hatten, erklârten nun in diesen Werken ihre Desillusionierung und das Grauen des Krieges. im Rahmen der literarischen Opposition der Nachkriegszeit sind besonders die Werke von Erich Maria Remarque und Ludwig Renn sehr bedeutend. Remarques `Im Westen nichts Neues` ist der erfolgreichste Kriegsroman der Weimarer Republik, und der die negativen Wirkungen des Krieges zusammenfaBt. Durch den Ich-Erzahler Paul Baurner vermittelt Remarque die Sinnlosigkeit des Krieges, die er an der Westfront miterlebt hatte. Obwohl er wie viele andere freiwillig in den Krieg zieht. wird er durch die grausamen Kampfhandlungen auf den Schlachtfeldern enttâuscht, so daB er sich gegen den Krieg wendet. Im ganzen Werk stellt er den Widersinn des Krieges. die Zerstörung einer Generation, die Sinnlosigkeit der Materialschlachten dar. Die Beziehung zwischen Heimat und Front, der Kriegsalltag. die Verletzungen, die Not. die gefiihllose Mörderei bearbeitet er dabei als Kriegsmotive, mit denen cr seine Kriegskritik verdeutlicht. L. Renns..Krieg` ist ein weiteres Werk der spaten Zwanziger Jahre. in dem die Kriegszeit aus einer weit übergrei fenden, autobiographischen Perspektive dargestellt wird. Auch Renn nimmt freiwillig am Ersten Weltkrieg teil und erlebt den Krieg vom Anfang bis zum Ende mit. Durch den Ich-Erzahler L. Renn stellt er das Geschehen als einen angeblich autobiographischen Kriegsbericht dar. Obwohl er bei Kriegsbeginn unter dem EinfluB der patriotischen Begeisterung nur an die Pflichterfüllung denkt, bemerkt er nach seinem ersten Einsatz den Widersinn des Krieges. Das sinnlose Töten befreit ihn von den eingepragten Kriegsvorstellungen, und er wendet sich einer innerlichen Kriegsgegnerschaft zu. Da er aber iiberleben will und seinen geistigen Depressionen entfliehen möchte. versucht er seine militarischen Aufgaben möglichst gut92 zu meistern. Aufgrund dieses Verhaltens wird ihm sogar ein Orden verliehen. Dennoch befindet er sich in einem Konflikt, der ihn zwischen militârischer Karriere und menschlicher Bedrângnis hin und her wirft. Aufgrund dieser Identitatskrise artikuliert er seine Kriegsgegnerschaft. Vor allem benutzt Renn dabei die alltâglichen Handlungen an der Front, mit dessen Darstellungen er die negative Seite des Krieges dokumentiert. Die literarische Opposition war also eine Bewegung, die sich in zwei verschiedenen Phasen mit unterschiedlichen Methoden gegen den Ersten Weltkrieg richtete. Einerseits war es die Reaktion der Schriftsteller, die sich schon vor Kriegsausbruch mit den sozialen und politischen Problemen der Gesellschaft auseinandersetzten und ihre Kriegsablehnung vom Anfang bis zum Kriegsende in Zeitschriften ausdrückten. Andererseits war es die Kriegskritik der Literaten, die die Sinnlosigkeit des Geschehens durch ihre persönliche Teilnahme am Krieg bemerkten und ihre Opposition erst in den spâten Zwanziger Jahren in den Kriegsromanen darstellten. Schliefilich kann man sagen, dafi sich diese Bewegung, die im allgemeinen ein Kampf gegen den Krieg war, zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten entwickelte. Schriftsteller, die das Verbrechen und die Unmenschlichkeit des Ersten Weltkrieges durchschauten, schilderten in ihrer ablehnenden Haltung das sinnlose Handeln. So entwickelten sie die Kriegsthematik zu einem literarischen Gegenstand, in dem es sich um die Zerstörung der Menschheit handelte. Deswegen plâdierten sie für den Aufstand der Massen und fur eine Menschheitsverbrüderung. Als höchstes Ziel appellierten sie an Menschlichkeit, Liebe und Versöhnung, wogegen sie dem Kapitalismus, Materialismus und Militarismus den Kampf ansagten. Damit die Menschen die Absicht der Weltpolitik erkennen konnten, versuchten sie den Zusammenhang zwischen dem Krieg und dem Herrschaftssystem in literarischer Sicht darzustellen. Dadurch warnten sie ihre Rezipienten vor der Unterstützung des Krieges und erinnerten sie an die Kriegsschuld. Trotz der Zensur und der Verhaftungsgefahr, agierten die Opponenten in dieser Richtung, so daB eine zweischichtige Antikriegsliteratur entstand. die die Zeitspanne von 1914 bis 1933 umfaBt. Von dem. was vom Kriegsausbruch bis zur Entstehung der Weimarer Republik im Hintergrund des Weltkrieges passierte. wissen wir immer noch nicht vici. Doch die spezielle Dimension der Antikriegsliteratur, in der sich Vergangenheit und Gegenwart verbinden. gibt uns die Möglichkeit, mit der wahren Kriegseinwirkung in Beriihrung zu kommen. Deswegen kann man die Kriegsiiteratur. in der die Dunkelheiten und UngewiBheiten des Krieges durch das Licht der literarischen Opposition beleuchtet werden. als das Gedachtnis der Weltsjeschichte bezeichnen. | en_US |